Der Hospizverein präsentierte in Salzwedel ein Bühnenstück vom schleichenden Verfall der Identität.
Was geht in einem Menschen vor, der allmählich seine kompletten Erinnerungen verliert, der sich kaum noch im Alltag zurecht findet und ganz alleine fühlt? Das atmosphärische Bühnenstück „Verinnerungen“ von Sonja Lenneke und Stefan Mensing, das am Freitag im Hanseat aufgeführt wurde, setzte sich gekonnt mit diesen Fragen auseinander.
Im Mittelpunkt des Figurentheaters standen Regine und ihre Mutter, die an Demenz leidet. Anlässlich des 80. Geburtstages der Mutter kommt Regine aus Japan, wo sie schon seit vielen Jahren lebt, zu Besuch. Vom Bruder bereits vorgewarnt, dass die Mutter nicht mehr dieselbe ist und sich stark verändert hätte, verspürt Regine große Angst vor dem Wiedersehen. Was noch erschwerend hinzu kommt ist, dass die beiden ein kompliziertes Mutter- und Tochterverhältnis haben. „Meine Mutter war immer für andere da, nur nicht für mich!“, klagt Regine gleich zu Beginn des Stückes.
Die Mutter befindet sich in einem fortgeschrittenen Demenz-Stadium und organisiert ihren Alltag, indem sie alles auf Zettel notiert, wie den Weg zum Bäcker und die Wochentage. Auf diese Weise versucht sie vergeblich, die Auflösung ihrer Identität zu verhindern und verzettelt sich nur noch mehr. Diese Notizen bewahrt sie, neben Andenken und Fotos ihrer Angehörigen, in einem Nähkästchen auf. Regine findet bei ihrem Besuch dieses Nähkästchen und darin ein Foto, auf dem ihr Name vermerkt ist, das sie aber nicht abbildet. Danach reist Regine wütend und enttäuscht ab, kommt aber nach kurzer Zeit wieder nach Hause zurück.
Im Verlauf des Stückes geht es um die Akzeptanz von Krankheit sowie den Umgang mit sterbenden Angehörigen. Dabei offenbaren sich viele menschliche Facetten, wie Wut, Verzweiflung und Trauer. Am Ende steht Regine einfach nur am Bett der Mutter und alles ist ganz still. Diese Abschlussszene hat etwas Versöhnliches und lässt dem Zuschauer Raum für eigene Interpretationen.
Das Bühnenstück „Verinnerungen“ hat das Publikum im Hanseat stark berührt. Die Kombination aus Schauspiel und Puppenspiel ist gewagt, aber äußerst gelungen. Sonja Lenneke verstand es zu jeder Zeit, ihrer Puppe Leben einzuhauchen und jedes noch so kleine Detail zu transportieren. Auch die Emotionen, die die Betroffenen durchleben, wurden den Zuschauern auf beeindruckende Weise nahe gebracht. Die Veranstaltung wurde vom Hospizverein Salzwedel anlässlich des Welthospiztages organisiert.
Volksstimme 25.10.2016
Fotos: privat
24.10.2016