Hospizverein Salzwedel lud zum Theater- und Chansonabend zum Thema Demenz ein
Trotz Aussetzer –
"Ich bin das noch" hat die Schauspielerin Petra Afonin ihr Theaterprojekt genannt, in dem sie sich mit dem Thema Demenz auseinandersetzt. Gemeinsam mit der sie begleitenden Pianistin Susanne Hinkelbein war sie am Freitagabend im Salzwedeler Hanseat zu Gast. Der Salzwedeler Hospizverein hatte zu der Veranstaltung anlässlich des Welthospiztages eingeladen.
Salzwedel. Gundel wartet auf Horst. Wo er nur bleibt? Es wird doch nichts passiert sein? Sie muss ihm noch etwas zu essen machen. Das Abendessen ist überhaupt die beste Mahlzeit. Wegen der Dämmerung.
Gundel plaudert und lästert, erzählt von der Mutter, die Schneiderin war, und der Dreiviertelarm, das war überhaupt was, und was sie früher nicht alles mit ihrer Schwester, der Ilse, gespielt hat. Plötzlich fällt ihr wieder Horst ein. Wo er nur bleibt? Nun ja, die Bahn ist zuverlässig unpünktlich. Ach, und sie wollte ja noch etwas zum Essen holen. Gundel versucht, sich ihr Hohlsaumjäckchen anzuziehen. Hohlsaum. "Es ist alles noch da", sagt Gundel bestimmt.
"Nichts vergessen, nichts verlernt"
Petra Afonin sitzt als Gundel, mit grauer Perücke, auf alt geschminkt, in einem Lehnstuhl, und stellt eine Frau vor, die "auf der Rückreise ist". Immer wieder fehlen Gundel Worte. Oft fallen sie ihr nicht mehr ein, krampfhaft sucht sie nach einem Ersatz oder springt zum nächsten Thema. Eine tragisch-komische Mixtur, die das Publikum im voll besetzten Saal des Hanseats auflachen lässt. Doch Tragikkomik wechselt mit wachsender Verzweiflung, wenn Gundel sich frage, was das denn für ein Hotel ist, und woher diese seltsamen Männer denn eigentlich den Haustürschlüssel haben. "Die wollen mich hier vergiften. Die sind hinter meinem Geld her", zischt sie. Die anderen? Die kriegen doch schon nichts mehr mit. "Ich habe nichts vergessen und nichts verlernt", sagt Gundel mit aller Bestimmtheit.
Und immer wieder Horst. Horst, der nicht erscheint. Wie Erinnerungsfetzen aus einer längst vergangenen Zeit wehen Liedsequenzen zwischen ihren Worten hindurch. "Kommt ein Vogel geflogen", "Fuchs, du hast die Gans gestohlen" oder "Wem Gott will rechte Gunst erweisen, den schickt er in die weite Welt" ... "Ich war auch in Oberstdorf", sagt Gundel. Aber wo war noch mal Sylt? "Ich kann mir nicht merken, was andere vergessen." Und irgendwann erstirbt das Lachen im Publikum, spätestens dann, wenn Petra Afonin ihre Gundel verzweifelt rufen lässt "Ich bin das noch", aber fast selbsterkennend hinzufügt "Das Problem ist da oben".
Szenewechsel! "Gundel" nimmt ihre Perücke ab, und Petra Afonin erzählt, wie sie sich dem Thema Demenz annäherte. Sie recherchierte in Seniorenwohnstätten, in der Gerontopsychiatrie und in Angehörigengruppen ebenso wie bei professionellem Pflegepersonal und Beratungsstellen. Anschaulich und eindringlich beschreibt sie, wie Demenz nicht nur die Persönlichkeit des unmittelbar Betroffenen verändert, sondern auch das Leben der Angehörigen beeinflusst. Viele pflegen die Demenzkranken zu Hause, mit allem, was dazugehört: den Missverständnissen, den Aggressionen, der Verzweiflung, wenn gerade Gesagtes im nächsten Augenblick wieder vergessen ist, der Inanspruchnahme rund um die Uhr und der fehlenden Zeit für eigene Wünsche und Bedürfnisse. Ein Zwiespalt, aus dem es für viele pflegende Angehörige kein Entrinnen gibt: auf der einen Seite der Wunsch, mal wieder ein bisschen Zeit für sich selbst zu haben, auf der anderen Seite der Gedanke, man könne es seinem Partner/Angehörigen nicht antun, ihn/sie dann in die Kurzzeitpflege zu bringen.
Witze über Alzheimer würden von diesen Menschen gar nicht gemocht, so Petra Afonin. Sie berichtete über ihre Begegnung mit einem Pfleger von Demenzkranken, dem der Satz "Die kriegen doch sowieso nichts mehr mit" am meisten verhasst sei.
"Frag auch, was bleibt"
Ihre Erfahrungen ließ Petra Afonin in verschiedene Lieder münden, besang beispielsweise die Probleme des Rollenwechsels, wenn einer dann die Entscheidungen treffen müsse, der diese bislang immer nur mitgetragen habe. Sachliche Berichte und Informationen, die eigentlich noch mehr Betroffenheit hervorrufen als zuvor Gundels tragikkomische Versuche, ihre zunehmenden Aussetzer zu überspielen.
Doch am Ende kommt ein kleiner Hoffnungsschimmer - die Aufforderung, nicht nur zu fragen, was nicht mehr geht. "Frag auch, was bleibt". Torsten Liedtke dankte für den Hospizverein und die begeisterten Zuschauer für den "liebevollen Blick auf diese Menschen".
Volksstimme vom 25.10.2010
02.11.2010